

Jede Geschichte hat ihren Anfang:
Wie bist du damals auf die kohlenhydratreduzierte Ernährung gestoßen und was hat dich überzeugt dabei zu bleiben?
Da ich kurz vor der Pubertät an Typ-1-Diabetes (die autoimmune Diabetes-Form, die unabhängig von Lebensstil und Ernährung entsteht) erkrankt bin, musste ich mich schon früh mit meiner Ernährung vor allem hinsichtlich ihrer Makronährstoffen (Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett) auseinandersetzen, denn sämtliche insulinrelevanten Kohlenhydrate, die ich esse, bedeuten für mich eine darauf abgestimmte Menge Insulin spritzen zu müssen. Proteine sind auch in geringerem Maße insulinrelevant. Fett hingegen nicht, es kann nur die Geschwindigkeit des Blutzuckeranstiegs durch Kohlenhydrate beeinflussen.
Interessanterweise wurde (und wird sogar oft noch) eine kohlenhydratbetonte Ernährung für Menschen mit Diabetes empfohlen. Ich soll also von dem Makronährstoff am meisten essen, den mein Körper nicht verstoffwechseln kann? Das hat sich mir schon als ich Anfang 20 war nicht mehr erschlossen. Damals war der Low Carb Trend nicht wie heute weit verbreitet. Es gab nicht so viele Tipps und Produkte. Ich hab mir mein Wissen peu à peu selbst angeeignet. Damals war Stevia z. B. in Deutschland noch nicht zugelassen und da ich keine Lust auf Unmengen an künstlichen Süßstoffen hatte, hab ich mir eine Steviapflanze gekauft und mit den Blätter meinen Tee gesüßt, anstatt künstlichen Süßstoff zu verwenden. Auch alternative Bindemittel zu kohlenhydratreichem Mehl waren zu dieser Zeit noch nicht so bekannt. Ich hatte mir Johannisbrotkernmehl gekauft und damit experimentiert. Das sind nur zwei Beispiele – kurzum zählt für mich mein persönliches Ergebnis und das war: Meine Blutzuckereinstellung wurde entscheidend erleichtert, also bin ich dabei geblieben.
Wie hat sich die Ernährungsumstellung bei dir bemerkbar gemacht?
Wie schon gesagt, wurde es einfacher meinen Blutzucker innerhalb der gewünschten Normwerte zu halten. Ich mache seit jeher sehr viel Sport, bin 2006 auch Marathondistanzen gelaufen. Meine kohlenhydratarme Ernährung hat mich dabei unterstützt. Es ist eigentlich ganz einfach erklärt: Da ein Typ-1-Diabetiker keinerlei Insulin produziert, muss er es sich selbst zufügen. Je höher die Dosen sind, die ich mir verabreichen muss (z.B. für ein opulentes Frühstück), desto höher ist auch die Gefahr, dass die Dosis nicht exakt passt, denn es gibt vielerei Faktoren, die die Insulinwirkung beeinflussen können. Dazu zählen z. B. die Art der aufgenommene Kohlenhydrate und ob viel Protein und Fett dazugegessen wurde, Stress, Klimawechsel, zu wenig Schlaf, körperliche Aktivität, Infekte usw. – da steckt man nie 100%ig drin. Wenn ich nun aber mit niedrigem Insulinspiegel unterwegs bin, weil ich morgens keine oder kaum Carbs zu mir nehme, kann ich viel einfacher meinen Tag aktiv und flexibel gestalten ohne starke Schwankungen (zu hoher oder zu niedriger Blutzucker) hinnehmen zu müssen. Was man hierzu auch wissen muss: Blutzuckerschwankungen erfordern immer auch eine Gegenreaktion. Ist mein Blutzucker zu niedrig, muss ich Kohlenhydrate essen/trinken, ist er zu hoch, muss ich wieder spritzen. Sowas gilt es zu vermeiden – sowohl aus gesundheitlicher Perspektive als auch aus persönlicher „Freiheits- und Flexibilitätsperspektive“.
Was sind deine 3 besten Tipps, um die kohlenhydratarme Ernährung langfristig umzusetzen?
Wenn es nun aber etwas gibt, das man einfach nur in der fiesen Kohlenhydratvariante mag, dann (so machs ich zumindest) gönn ich mir das ab und an, aber eben nur ab und an. Kleiner Tipp dazu: wenn man schon vorhat zu „sündigen“, ist es sinnvoll, vorher mit einer ordentlichen Portion Gemüse und Proteinen für Sättigung sorgen. Im Anschluss isst man automatisch weniger von dem sündhaften Kram (zum Beispiel Schokolade).
Wer alternativ isst, kann ruhig mal ein bisschen kreativ werden.
Was haben deine Ärzte zu deiner Ernährungsumstellung gesagt?
Früher haben sie sich verhalten geäußert. So lang meine Diabeteswerte gut waren, hatten sie nix dagegen, aber sie haben es mir eben auch nicht empfohlen. Heute bemerke ich mehr und mehr Aufgeschlossenheit in Richtung Kohlenhydratreduktion.
Was hat dich dazu bewegt ein Buch über Ernährung zu schreiben?
Es mag komisch klingen und auch wenn das Buch sich primär mit Ernährungsthemen befasst, ist es eigentlich ein Buch über Diabetes. Nur ist Diabetes eine der Erkrankungen, über die man durch die eigene Ernährung so viel Macht erhalten kann, dass ein Diabetesbuch quasi automatisch auch ein Ernährungsbuch wird. Das gilt zumindest dann, wenn man auf Betroffene und Risikogruppen bezogene Empfehlungen mit unterbringen will. Ich kann mit Typ 1 meinen Diabetes nicht heilen, wohl aber mir mehr Flexibilität verschaffen. Ein Mensch im Vorstadium von Typ-2-Diabetes (sog. Prädiabetes), kann die Krankheit in den meisten Fällen mit den richtigen Lebenstilmaßnahmen aufhalten. Ein Typ-2-Diabetiker hat ebenfalls Chancen, die Erkrankung wieder ganz loszuwerden. Je „jünger“ der Diabetes ist, desto größer sind die Chancen hierfür mit den richtigen Maßnahmen, laut aktueller Studienlage.[1]
Das müssen die Betroffenen wissen, um Mut zu fassen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Wissen ist Macht – in diesem Falle zeigt sich das umso deutlicher.
Da durch die Zunahme übergewichtiger Menschen in der Bevölkerung Diabetes in Form des Typs 2 mittlerweile zu einem gesamtgesellschaftlichen großen Risikofaktor geworden ist, ist es auch nicht nur ein Buch für Betroffene, sondern für alle Menschen, die sich gesund halten wollen. Übergewicht und Typ-2-Diabetes gehören leider zu den „Top“-Zivilisationskrankheiten unserer Zeit. In einem Bericht des Ärzteblattes von 2015[2] kann man nachlesen, dass bereits über 12% der Bevölkerung in den USA Typ 2 haben und weitere 38% prädiabetische Symptome aufweisen. Der Artikel folgert richtig, dass dies bedeutet, dass etwa jeder zweite (!) US-Amerikaner einen gestörten Kohlenhydratstoffwechsel hat. Diese Negativ-Spirale dreht sich weiter und trifft in verschiedenen Ausprägungen mittlerweile auf die meisten hochentwickelten Gesellschaften zu. Das sollte uns allen zu denken geben.
Hast du Partner, mit denen du auf wissenschaftlicher Basis zusammenarbeitest?
Ja, für das Buch allein habe ich mit 13 nationalen und internationalen Experten in Sachen Diabetes und Ernährung gesprochen und auch wenn ich Artikel schreibe, ziehe ich meist Expertenmeinungen hinzu. Das Vorwort zu meinem Buch hat der von den NDR Ernährungsdocs bekannte Dr. Matthias Riedl aus Hamburg geschrieben, ein Gastbeitrag im Buch ist von Prof. Dr. Stefan Martin aus Düsseldorf, der ebenfalls bekannt aus den Medien ist. Weitere Gesprächspartner waren u.a. Prof. Dr. Annette Schürman und Prof. Dr. Andreas Pfeiffer vom DifE in Berlin und der Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Nicolai Worm. Mir ist in meiner Arbeit sehr wichtig, dass Aussagen, die Menschen und Empfehlungen möglicher Veränderungen ihres Gesundheitsverhaltens betreffen, wissenschaftlich fundiert und von Medizinern empfohlen sind.
Auf welche Studien stützt du deine Thesen aus deinem Buch?
Die Aussage ‚Typ-2-Diabetes ist heilbar‘ ist keine These, sondern eine durch Studien belegte Aussage, die mittlerweile auch immer mehr Experten, Ärzte und Medienvertreter sich wagen so zu Äußern.
[1] Siehe u.a. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/dme.12722 und https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/diabetes/article/948990/nobelpreis-verdaechtig-grosse-hoffung-gesundheit-typ-2-diabetiker.html und genauer nachzulesen inkl. Interview mit dem Studienleiter Roy Talor und in einem Gastbeitrag von Prof. Dr. Stephan Martin in „Diabetes* ist heilbar! *(Typ 2), Svea Golinske, systemed Verlag 2017
[2] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64076/USA-Jeder-zweite-Erwachsene-hat-Diabetes-oder-Praediabetes